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The European Bibliography of Slavic and East European Studies (EBSEES) - 1991-2007

The European Bibliography of Slavic and East European Studies (EBSEES) collects books, journal articles, reviews and dissertations from Eastern Europe (former countries of Eastern Bloc) which were published in Belgium, Germany, Finland, France, Great Britain, the Netherlands, Austria and Switzerland from 1991 to 2007. The segment "Literature" and "Culture" of the European Bibliography of Slavic and East European Studies contains 18.000 bibliographic entries (from the total asset of 85.000). More information can be found here.

ID66571
Author(s)Marschall, Christoph von
Title

Es gibt bessere Gedenktage als den 16. März

PublishedDer Tagesspiegel, 16.03., 1999, p. 6
Language(s)ger
AnnotationTagesspiegel NR. 16636 VOM 16.03.1999 SEITE 006 Politik / Im Interview "Es gibt bessere Gedenktage als den 16. März". Lettlands Präsident fordert Abschaffung des "Tags der Legionen"/Ulmanis: Integration der russischen Mitbürger wichtigste Aufgabe. TAGESSPIEGEL: Als Lettland vor einem Jahr am 16. März der lettischen Legionen gedachte, die im Zweiten Weltkrieg auf deutscher Seite kämpften, löste das wütende Proteste der Russen aus. Kommt es dieses Jahr zu ähnlichen Szenen? ULMANIS: Vor einem Jahr ging es um eine Intrige russischer Medien und russischer Politiker. Niemand von unserer politischen Klasse wird in diesem Jahr den 16. März begehen. Das hat das Kabinett beschlossen. Ich habe auch die Veteranenverbände gebeten, nachzudenken, ob der 16. März der richtige Tag ist, um der Opfer des Zweiten Weltkriegs zu gedenken. Es gibt bessere Daten. Wir können jedoch niemandem verbieten, zum Freiheitsdenkmal zu gehen. TAGESSPIEGEL: Auch der Westen war irritiert. Wenige wissen, daß die meisten Letten in der "Freiwilligen SS-Legion" gegen ihren Willen eingezogen wurden. ULMANIS: Der Westen versteht unsere komplizierte Geschichte nicht. Letten wurden von zwei Diktaturen in ihre Armeen gezwungen. Der Sowjet-Totalitarismus ist ebenso zu verdammen wie der Faschismus. TAGESSPIEGEL: Das Parlament hat in einer Trotzreaktion gegen Rußland den 16. März zum offiziellen Gedenktag erhoben. Wie reif ist Lettlands Demokratie? ULMANIS: Das Parlament sollte diese Entscheidung revidieren. Wir sind erst auf dem Weg, ein stabiles Parteiensystem zu entwickeln. Aber wir können auf einer demokratischen Tradition aufbauen, der Verfassung von 1922. Das Referendum über die Liberalisierung des Staatsbürgerschaftsrechts am 3. Oktober war ein Beleg der demokratischen Reife des Volkes. Das Erbe der totalitären Zeit gehört allmählich der Vergangenheit an. TAGESSPIEGEL: Wie stabil ist die Wirtschaft? Die russische Krise hat das Wachstum stark reduziert. ULMANIS: Nein, nicht so stark. Es zeigte sich, wie sehr die Wirtschaft bereits nach Westen orientiert ist. Die Abhängigkeit von Rußland ist von 60 auf 16 Prozent gesunken. Unsere Banken haben vielleicht zu viel Geld nach Rußland ausgeliehen, aber es gibt keine Kettenreaktion, wir haben aus der Bankenkrise von 1995 gelernt. Doch werden wir nie nur Westhandel treiben können, Lettland liegt an der Grenze des Westens zum Osten. Auch wegen der starken russischen Bevölkerung können wir keine Wirtschaftsmauer errichten. TAGESSPIEGEL: Am Freitag traten Polen, Tschechien und Ungarn der NATO bei. Ein Grund zur Freude? Oder ein trauriger Tag, der daran erinnert, daß die Balten keine konkrete Beitrittsperspektive haben? ULMANIS: Das war ein guter Tag für die Balten. Wir kooperieren enger mit Polen, Tschechien und Ungarn als je zuvor und werden von ihrem Weg in die NATO lernen. Der NATO-Gipfel muß einen klaren Fahrplan für die nächste Erweiterung vorgeben. Es darf keine roten Begrenzungslinien geben. TAGESSPIEGEL: Die EU hat Lettland große Fortschritte bescheinigt und empfohlen, Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Das wird aber wohl erst gegen Jahresende in Helsinki beschlossen. Ist diese lange Wartezeit eine Enttäuschung? ULMANIS: Wir hatten auf eine schnellere Entscheidung gehofft. Aber Lettland ist nicht nervös. Wir setzen unsere Reformen unbeirrt fort, die Angleichung unserer Gesetze. Beim nächsten Gipfel darf es jedoch keine weitere Verzögerung geben. TAGESSPIEGEL: Beim Berliner Gipfel will die EU sich erweiterungsfähig machen. Glauben Sie an einen Durchbruch? ULMANIS: Diese Frage ist viel wichtiger als die Beitrittsfähigkeit eines Landes. Ungelöste Probleme in der EU sind ein weit größeres Erweiterungshindernis, weil sie sich auf alle auswirken: Mitglieder und Kandidaten. Der Berliner Gipfel wird sehr schwer. Die Geschichte der EU zeigt, daß es immer wieder Verzögerungen gibt, die Probleme aber am Ende gelöst werden. TAGESSPIEGEL: Wenn die innere Reform der EU nicht gelingt, verzögert sich die Erweiterung. Was wären die Konsequenzen für Lettland? ULMANIS: Das würde die gesamte EU beschädigen. Es wäre ein Rückschlag für die weitere Integration. Auch Kandidaten wie Lettland wären Verlierer. Das Reformtempo würde nachlassen, unsere Einbeziehung in den Markt würde verzögert. Eine solche Schwäche Europas wäre ein gefährliches Signal der Ermunterung an die Kräfte, die die Aufnahme des Baltikums in die EU und die NATO verhindern wollen. Für das höhere Ziel der europäischen Einigung müssen die einzelnen Länder ihre nationalen Egoismen hintanstellen. TAGESSPIEGEL: Im Mai besucht Roman Herzog Lettland. Was erwarten Sie von der letzten Auslandsreise des scheidenden Bundespräsidenten? ULMANIS: Das hat schon Tradition. Auch Richard von Weizsäcker führte die letzte Reise seiner Amtszeit nach Lettland. Deutschland hat seit Jahrhunderten großen Einfluß. Inzwischen ist die Wirtschaftskooperation wieder so stark, daß sie keiner speziellen Ankurbelung bedarf. Menschliche Begegnung, Kulturaustausch und die Diskussion über demokratische Werte haben jetzt Priorität. TAGESSPIEGEL: Ihre Amtszeit endet im Sommer. Was sind die wichtigsten Aufgaben für das nächste Staatsoberhaupt? ULMANIS: Die Einbeziehung aller Gruppen und die Konsolidierung als moderne Gesellschaft mit demokratischen Werten. GUNTIS ULMANIS (59) ist seit 1993 Präsident. Er wurde als Kind nach Sibirien deportiert, trat 1965 Lettlands KP bei und gehörte 1990 zu den Neubegründern der Bauernpartei. Mit ihm sprach Christoph von Marschall über die Erwartungen an den Berliner EU-Gipfel und die NATO-Erweiterung. Foto:Kai-Uwe Heinrich den Berliner EU-Gipfel und die NATO-Erweiterung. Foto:Kai-Uwe Heinrich
SubjectsLatvia / History (1918/20-1945)  [Browse all]
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Latvia / Nationalities, Minorities, National Identity, Nationalism  [Browse all]
National identity
NoteInterview mit Ulmanis, Guntis, Präsident Lettlands
Mediumarticle
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